Der Engpass zwischen und in Ressourcen
Flüssige Arbeit ist eine Frage passender Kapazität zum Bedarf
Gerade habe ich dieses Posting bei LinkedIn gelesen und gedacht: Sehr richtig — aber da fehlt doch auch etwas. Das, was fehlt, ist etwas, das die Arbeit im Office schnell in die Überlastung treibt.
Der Artikel beschreibt Tätigkeiten als eine Sequenz von Schritten; Aufträge durchlaufen Prozesse. Die sind mehr oder weniger explizit definiert, mehr oder weniger umfangreich, mehr oder weniger standardisiert. In jedem Fall passiert dabei jedoch immer zuerst das eine und danach das andere usw. bis alle Schritte durchlaufen sind. Jeder Schritt kann von derselben Person ausgeführt werden oder es können verschiedene Personen (allgemeiner: Ressourcen) beteiligt sein.
Schematisch sieht das so aus:
Links liegen Aufträge an; die verarbeitet der Prozess in mehreren Schritten; rechts werden Ergebnisse geliefert.
Jeder Schritt hat eine Kapazität, die ihn eine bestimmte Anzahl Aufträge in einer Zeiteinheit verarbeiten lässt. Der erste Schritt kann sich in einer Zeiteinheit um max. 10 Aufträge kümmern, der mittlere nur um 6, der letzte sogar um 12.
Der Engpass im Prozess
Wie viele Aufträge können auf diese Weise pro Zeiteinheit bewältigt werden? Was ist der theoretische Durchsatz pro Zeiteinheit? Der ist begrenzt durch den Prozessschritt mit der geringsten Kapazität — dem Engpass —, hier ist das der mittlere (intra process constraint bzw. inter resource constraint). Der ganze Prozess kann max. Resultate für 6 Aufträge pro Zeiteinheit liefern. Der erste und der letzte Schritt haben also Überkapazität in Relation zum mittleren.
Darauf hebt der LinkedIn-Beitrag im Eingangssatz ab:
Warum es überhaupt nicht hilft, wenn in Unternehmen die Menschen immer beschäftigt sind: […]
In diesem Fall betrifft das vor allem den ersten Schritt: Wenn pro Zeiteinheit 9 Aufträge bei ihm eingehen würden, ist es kontraproduktiv, all diese Aufträge im ersten Schritt bearbeiten zu lassen. Dessen Kapazität ist dafür groß genug; dort entsteht kein Stress. Doch von den 9 dort bearbeiteten Aufträgen können im zweiten Schritt nur 6 pro Zeiteinheit weiterverarbeitet werden. Vor dem mittleren Schritt entsteht somit eine Halde. Nach einer Zeiteinheit liegen dort 3 unbearbeitete Aufträge, nach zwei Zeiteinheiten 6, nach dreien 9 usw.
Die wachsende Halde an unbearbeiteten Aufträgen vor dem mittleren Schritt enthält Aufwand, für den schon Geld ausgegeben wurde — in Form der Arbeit des ersten Schrittes —, das immer länger darauf wartet, durch eine Lieferung am Ende des Prozesse wieder herein zu kommen.
Den ersten Schritt jenseits der Kapazität des Engpasses auszulasten, bedeutet Verschwendung in mehrfacher Hinsicht:
Wenn die Menschen, die [im mittleren Schritt tätig sind] schon mit voller Auslastung ihre Arbeit machen, dann können sie gar nicht schneller. Dann gibt es keine Reserve! Oft führt das dann zu schlechterer Qualität, zu Überstunden oder zu verspäteten Lieferterminen (oder es treten alle negativen Effekte zusammen auf).
Wer zuverlässig sein will, tut also gut daran, seine Prozess aus Perspektive der Engpasstheorie (Theory of Constrains, TOC) zu optimieren. Wie ein “Flaschenhals”-Schritt den Durchsatz behindert, ist offensichtlich. Optimierungen, die nicht direkt an ihm ansetzen, sind deshalb ebenfalls Verschwendung.
Der Engpass in der Ressource
Was mir im Posting gefehlt hat, war der Blick auf Arbeit, die nicht in Prozessen abläuft. Manche Aufträge sind “Atome” und lassen sich nicht weiter sinnvoll in Schritte zerlegen. Das ist der Fall — oder wird oft so wahrgenommen — im Office.
Oder anders ausgedrückt: Wie sieht es eigentlich innerhalb einer Ressource aus? Warum hat die Ressource im obigen Prozess nur eine Kapazität von 6 Aufträgen pro Zeiteinheit? Das kann sein, weil ihre Arbeit am Auftrag einfach 40% länger dauert als im ersten Schritt. Das kann aber auch sein, weil sie auf Aufträge der in Frage stehenden Art einfach weniger ihrer Brutto-Kapazität verwenden will.
Angenommen, die Brutto-Kapazität jeder Ressource ist 12 pro Zeiteinheit. Dann würde die letzte Ressource im Prozess all ihre Kapazität in den Dienst der Bearbeitung der in Rede stehenden Aufträge stellen. Die erste Ressource würde dafür nur 83% zur Verfügung stellen. Die mittlere Ressource jedoch lediglich 50%:
Warum das der Fall ist, ist zunächst unwichtig. Es ist schlicht, wie es ist. Jede Ressource arbeitet nicht nur an einer Art von Aufgaben — hier: die in Rede stehenden Aufträge —, sondern an verschiedenen. Das ist im Office ganz normal. Auf die Form bezogen gibt es z.B.
Meetings
Anrufe
E-Mails
Stillarbeitszeiten
Auf den Inhalt bezogen arbeitet eine Assistentin z.B. an
Organisation einer Veranstaltung
Vorbereitung einer Präsentation
Reisekostenabrechnung ihres Chefs
Terminvereinbarungen
Die mittlere Ressource ist also nur ein Engpass, weil sie entschieden hat, der inhaltlichen Kategorie, zu der die Aufträge des Prozesses gehören, lediglich 50% ihrer Bruttokapazität zu widmen. Aus ihrer Sicht braucht sie die verbleibenden 50% für andere Aufgabenkategorien. Und auch diesen weist sie einen spezifischen Anteil ihrer Brutto-Kapazität zu.
Prozesse systematisch zu planen ist gerade im Office nicht Usus. Immer häufiger fällt jedoch auf, dass dort ein Verbesserungspotenzial schlummert. Das ist der Moment, in dem sich Unternehmen an Andrea Kaden wenden.
Untrennbar von der Prozessdefinition bzw. -optimierung ist jedoch die Betrachtung der Aufmerksamkeitsgestaltung: Wie viel der Arbeitszeit jedes Mitarbeiters wird eigentlich der Aufmerksamkeit auf verschiedene Aufgabenkategorien zugestanden?
Nicht nur gibt es meistens keine explizite Aufmerksamkeitsgestaltung, es gibt noch nicht einmal eine klare Vorstellung davon, wie die Hierarchie der Aufgabenkategorien aussehen könnte. Aber davon ein andermal mehr.
Wann wird Kapazität eigentlich zum Problem?
Egal, wie die Kapazitäten nun zugeordnet sind, wann werden sie eigentlich zum Problem? Im Prozess oben scheint die Kapazität des mittleren Schrittes offensichtlich ein Problem; sie ist im Verhältnis zu den anderen die geringste.
Oder bei der Betrachtung der Kapazitätsanteile des mittleren Schrittes ist doch deutliche die unterste Kategorie ein Problem. Die Kapazität für sie ist 1 im Vergleich zu 6 für die Aufträge des Prozesses.
Doch so einfach bzw. so schlimm ist es nicht. Nur weil in Relation zu anderen Kapazitäten eine geringer ist, stellt sie noch kein Problem dar.
Bei der Kapazität geht es um ihre Größe in Bezug auf einen Bedarf (eine Last).
Solange am Prozess oben nur 5 Aufträge pro Zeiteinheit anliegen, ist der mittlere Schritt kein Engpass. Seine vergleichsweise geringe Kapazität stellt keine Hürde für den Durchsatz dar. Was pro Zeiteinheit anliegt kann auch pro Zeiteinheit geliefert werden.
Eher umgekehrt könnte in dem Fall beim ersten und letzten Schritt von einem Problem gesprochen werden, weil sie in Bezug auf 5 Aufträge pro Zeiteinheit deutlich überdimensioniert sind. Doch das ist eine Frage der Entwicklung der Auftragslage. Sind 5 Aufträge normal oder eher mehr? Wenn es 5 sind, sollte im ersten und letzten Schritt die Kapazität reduziert werden; der mittlere Schritt hat noch etwas Puffer, der erhaltenswert ist. Das ist auch Thema des Postings:
Es wird immer Abweichungen geben, Murphy wird immer da sein und uns das Leben schwer machen… Daher ist es wichtig, dass Ressourcen Spielräume haben. Ohne diese Spielräume, bei aufeinanderfolgenden Arbeiten, können Störungen nicht ausgeglichen werden!
Sollte die normale Auftragslage jedoch bei 6 oder darüber liegen… stellt die Kapazität für den mittleren Schritt ein Problem dar; dann wird er zum Engpass, auf den sich die Optimierung konzentrieren sollte.
Genauso ist es beim Blick in die mittlere Ressource hinein mit ihrer Kapazitätsallokation für verschiedene Aufgabenkategorien. Ist eine davon ein Problem? Das kann nur beurteilt werden in Bezug auf den Bedarf:
In diesem Beispiel liegen für jede Kapazitätskategorie pro Zeiteinheit unterschiedlich viele Aufträge an. Die für die erste Aufgabenkategorie zur Verfügung gestellte Kapazität wird nicht ausgenutzt, ebenso wenig die für die zweite. Aber bei der dritten Kategorie ist die Kapazität nur 2 und die Last 4; diese Kapazität ist also deutlich überlastet. Die Ressource schafft pro Zeiteinheit zwar alle Aufträge für den Prozess, doch bei der dritten Aufgabenkategorie ist sie unzuverlässig und liefert nur 50%.
Darauf gilt es ein Auge zu haben! Wenn Ressourcen für verschiedene Aufgabenkategorien genutzt werden können, braucht es eine passende Allokation ihrer Brutto-Kapazität.
Sollte die obige Auftragslast typisch sein, ist die Brutto-Kapazität zu gering, um sie zu bewältigen. Es könnte zwar ein wenig Kapazität von der ersten zur dritten Aufgabenkategorie verschoben werden; dennoch bliebe deren Kapazität mit dann 3 unter dem Bedarf von 4; die Kapazität für die dritte Aufgabenkategorie ist dann ein intra resource constraint.
Hier sehen Andrea Kaden und ich eigentlich das Einstiegsproblem in den meisten Unternehmen: Es fehlt natürlich an Klarheit über die Prozesse. Dem vorgelagert jedoch fehlt es vor allem an Klarheit über Kapazitätsbedarf und Aufgabenkategorien.
Das allgemeine Gefühl in vielen Offices ist das einer Überlastung — doch ob das wirklich berechtigt ist und in welcher Aufgabenkategorie die Überlastung auftritt, liegt im Dunkeln. Deshalb beginnt die Arbeit von Zeitgewinn Hamburg oft mit einem genauen Blick auf die Aufmerksamkeitsgestaltung (früher: das Zeitmanagement). Ein Blick in den Kalender ist dabei sehr hilfreich: