Die eigene Kapazität einteilen
Wo Überlastung empfunden wird, tut ein unverstellter Blick auf Zeitnutzung Not
“Fühlen Sie sich überlastet? Was tun Sie eigentlich den ganzen Tag?” Wenn Andrea Kaden und ich diese Fragen Mitarbeitern im Office unserer Kunden stellen, lauten die Antworten typischerweise
Ja!
Telefonieren, im Meeting sitzen, E-Mails beantworten, Kollegen helfen…
Hört sich das für Sie bekannt an?
Die erste Antwort ist für uns völlig nachvollziehbar, wenn wir die zweite Antwort gehört haben. Es kann nicht anders sein, als dass sich jemand, der den ganzen Tag mit all diesen Tätigkeiten beschäftigt ist, überlastet fühlt. Denn diese Tätigkeiten kennen kein Maß, keine Grenze. Ist das eine Telefonat erledigt, die eine E-Mail beantwortet, geht es von vorne los… Was würde berechtigen, dazu Nein zu sagen?
Dabei ist die Antwort auf die zweite Frage im Grunde keine. Sie geht am Was? der Frage vorbei. Beantwortet wurde vielmehr die Frage: “Wie erledigen Sie Ihre Arbeit, mit welchen Werkzeugen und Medien?”
Wenn die Überlastung angegangen werden soll, sind Werkzeuge und Medien jedoch zweitrangig. Es geht zunächst nicht um das Wie, d.h. die Form, sondern es geht um den Inhalt, das Was.
Aber wir verstehen, warum die Antwort so ausfällt. Die Werkzeuge und Medien sind viel greifbarer als der Inhalt. Sie springen förmlich ins Auge. Jeder kann sehen, wie der andere arbeitet — aber nicht womit er sich beschäftigt. Das Was ist unsichtbar, wenn man durchs Büro geht. In einer Werkstatt ist das anders; die Werkstücke sind für jeden deutlich erkennbar. Deshalb ist die Arbeit im Office so viel schwerer zu organisieren und zu optimieren: weil die Aufgaben quasi unsichtbar sind. Wer das nicht von vornherein systematisch kompensiert, geht schnell unter.
Es geht um das Warum
Das Telefon, ein Meeting, eine E-Mail sind lediglich Mittel, um einen Zweck zu erreichen. Die zentrale Frage ist deshalb: Warum wird das Telefon oder ein Meeting benutzt? Was soll erreicht werden? Aufgaben zu erledigen kostet Zeit, egal welches Werkzeug oder Medium Sie einsetzen.
Die erste Frage muss daher sein, ob eine Aufgabe überhaupt erledigt werden muss? Die zweite: Muss die Aufgabe jetzt erledigt werden? Die dritte: Wie viel Zeit können Sie heute auf die Aufgabe verwenden angesichts all der anderen Aufgaben, die auch noch der Erledigung durch Sie harren?
Sie wurden für einen ganz bestimmten Zweck eingestellt. Ihr Gehalt beziehen Sie, weil Sie Aufgaben einer ganz bestimmten Art bearbeiten sollen. Was wir deshalb als erstes wissen möchten, falls Sie sich überlastet fühlen, ist, wie viel der vertraglichen Arbeitszeit Sie auf diese Art Aufgaben überhaupt verwenden.
Wie Sie dann die Zeit für Ihren Hauptzweck nutzen, kommt erst später. Als erstes geht es darum, zu welchem Anteil Sie sich darauf überhaupt konzentrieren. Und wenn das nicht 100% Ihrer Arbeitszeit sein sollte, womit Sie sich sonst noch beschäftigen.
Doch diese Frage können die meisten Mitarbeiter von Unternehmen nur sehr schwer beantworten. Die Formen stehen so im Vordergrund, dass die Inhalte erst in einem Workshop herausgearbeitet werden müssen.
Schon der Umgang mit dem Kalender verrät uns meistens, wie es mit dem Bewusstsein zum Was steht. Dazu in diesem Artikel etwas mehr:
Aber was können Sie dafür tun, sich klarer zu werden, was Sie den ganzen Tag beschäftigt und am Abend geschafft sein lässt?
Zweckorientierte Aufgabenkategorien
Wir empfehlen den Blick durch die Brille der Aufgabenkategorien. Damit lösen Sie sich vom Rauschen der Formen und steigen über das Brodeln der vielen kleinen Aufgaben auf. Auf der Ebene der Aufgabenkategorien können Sie einen Überblick über den Ist-Zustand gewinnen, auf den die Planung eines Soll-Zustands für morgen folgen kann.
Jede Tätigkeit gehört zu einer Aufgabe, die einen Zweck verfolgt. Beispiele:
Sie telefonieren. Das gehört zur Aufgabe “Angebotsnachverfolgung”. Die gehört zum Zweck Ihrer Anstellung als Verkäufer.
Sie schreiben eine Email. Die gehört zur Aufgabe “Reisekostenabrechnung einreichen”. Das gehört nicht zum Zweck Ihrer Anstellung als Verkäufer; damit wird ein anderer Zweck verfolgt. Welcher?
Sie nehmen an einem Workshop teil. Der gehört zur Aufgabe “Teilnahme am Training ‘NLP in der Verkaufsverhandlung’”. Die ist nicht Teil Ihres Zwecks als Verkäufer. Damit wird ein anderer Zweck verfolgt. Welcher?
Sie sehen, bei aller rastlosen Aktivität bringen doch nicht alle Tätigkeiten einen Fortschritt für Resultate, die Sie laut Stellenbeschreibung liefern sollen. Das ist leider auch nur wenigen Führungskräften bewusst. Ihnen ist vor allem wichtig, ob alle Mitarbeiter auch rastlos sind — was genau getan wird, ist zweitrangig oder wird als ganz selbstverständlich zweckvoll im Sinne der Stellenbeschreibung angenommen.
Für die Analyse der Situation am Arbeitsplatz haben wir deshalb einige ganz allgemeine Aufgabenkategorien, für die wir wissen wollen, wie viel Zeit darauf verwendet wird. Mit ihnen kommen Sie vom Wie zum Was bei der Beurteilung Ihrer Arbeit.
Facharbeit: Das ist die Kategorie für alle Aufgaben, die der Stellenbeschreibung entsprechen. Ein Verkäufer verkauft, ein Ingenieur entwirft oder prüft, ein Disponent disponiert, ein Einkäufer kauft ein usw.
Wertschöpfung: Facharbeit ist an sich wertschöpfend. Sie produziert mehr von dem, was gewünscht ist für den Unternehmenserfolg.
Nacharbeit: Nicht alle Wertschöpfung ist sofort erfolgreich. Es geschehen Fehler — neutraler: Abweichungen vom Soll —, die müssen ausgebügelt werden. Solche Nacharbeit ist Verschwendung; leider ist sie nicht komplett zu vermeiden.
Anpassung: Es ist nicht mehr zu erwarten, dass Facharbeit über längere Perioden unverändert geleistet werden kann und stets Resultate liefert, die Kunden glücklich macht. Sie muss vielmehr ständig angepasst werden.
Lernen: Der Einzelne kommt nicht umhin zu lernen. Neue Techniken, Tools, Methoden, Materialien, Kenntnisse wollen berücksichtigt werden, um auch morgen noch die besten Resultate zu erzielen. Wo nicht gelernt wird, fällt die Leistung zurück gegenüber dem, was möglich und beim Wettbewerb womöglich schon im Einsatz ist.
Veränderung: Die Organisation — vom Team über die Abteilung bis zum ganzen Unternehmen — ist aufgefordert, sich anzupassen, sobald sich herausstellt, dass Resultate auch mit weniger Aufwand erreichbar sind.
Administration: Jede Organisation hat eigene Ansprüche an Mitarbeiter. Zwar sollen die hauptsächlich mit Facharbeit beschäftigt sein — doch darüber dürfen die Bedingungen für die Möglichkeit dazu nicht vergessen werden. Und so gibt es Reisekostenabrechnungen, Mitarbeitergespräche, Budgetverhandlungen und vieles mehr, das nicht der Facharbeit und nicht der Anpassung dient.
Meldung: In hierarchischen Organisationen leiden die, die nicht direkt im Wertstrom für den Kunden arbeiten an Informationsdefiziten. Management und Führungsriege wollen daher auf dem Laufenden gehalten werden. Das geschieht über Meldungen der einen oder anderen Art und Frequenz, z.B. Wochenbericht, Quartalszahlen.
Hausarbeit: Als Hausarbeit bezeichnen wir all das, was zur Pflege von Arbeitsplatz und Beziehungen zu Kollegen und anderen relevanten Parteien nötig ist, aber nicht eindeutig in eine der anderen Kategorien fällt. Ein typisches Beispiel ist die Zeit, die jeden Tag in die Durchsicht von Nachrichtenkanälen gesteckt wird (z.B. Anrufbeantworter, E-Mail Inbox, Teamchat). Wer pro Tag 3 Mal für 15 Minuten ins E-Mail Postfach schaut, um einen Überblick zu gewinnen, macht Hausarbeit. Wer dann jedoch 20 Minuten eine E-Mail schreibt, um auf die Frage eines Interessenten zu einem Angebot zu reagieren, der ist schon zur Facharbeit gewechselt.
Das sind die Aufgabenkategorien, denen wir am häufigsten begegnen. Mit Ihnen als Brille schauen wir auf die Tätigkeiten der Mitarbeiter unserer Kunden.
Welche Aufgabenkategorien sind zu erkennen?
Wird bewusst zwischen den Kategorien differenziert?
Wie viel Zeit wird den Kategorien zugestanden?
Ist die Zuordnung systematisch oder ad hoc?
Hängen die Zeiten für eine Kategorie zusammen (pro Tag, pro Woche)?
Das sind einige Analysefragen, die wir stellen. Die Antworten darauf vergleichen wir mit unserem “Idealbild”. Wir glauben, dass es flüssiger und entspannter Arbeit zuträglich ist, wenn…
Aufgabenkategorien bewusst angewandt werden,
der Zeitanteil je Aufgabenkategorie einem Schema folgt,
der Wechsel zwischen den Aufgabenkategorien nicht zu häufig ist.
Zur Wechselfrequenz: Je Aufgabenkategorie bzw. Aufgabe innerhalb einer Kategorie sollte die Aufmerksamkeit mindestens 30 Minuten konzentriert sein, besser 45 oder 60 Minuten. Unterbrechungen sind zu vermeiden. Sie führen zu Multi-Tasking, verlängern jede Arbeit und führen in die Unzufriedenheit.
Zum Schema: Die Arbeitszeit (z.B. 8 Stunden pro Tag oder 40 Stunden pro Woche) sehen wir nach einem Schema in Anteile je Kategorie geteilt. Für Arbeit im Office hat sich folgendes als praktikabel, wenn auch nicht ideal erwiesen:
Wie Sie sehen: Wir glauben fest daran, dass Facharbeit den bei weitem größten Anteil an der Arbeit haben sollte. Mehr als 60% sind jedoch meistens nicht zu erwarten. Zu viele andere Zwecke müssen auch immer noch verfolgt werden. Und auch dieser Anteil kann nicht realistisch nur mit Wertschöpfung gefüllt sein; Fehler passieren.
Für ebenfalls wichtig halten wir das ganze Thema Anpassung. Wertschöpfung ist auf Dauer nicht möglich, wenn nicht ständig gelernt und verändert wird. Der Holzfäller muss pausieren, um die Axt zu schärfen; selbst der Rennfahrer muss zum Boxenstopp.
Der Anteil der Anpassung an der Arbeitszeit ist von vielen Faktoren abhängig. Wenn wir hier 15% als Soll ausrufen, dann ist das nur ein “Durchschnittswert” über Branchen und Fachgebiete hinweg. Es mag Zeiten geben, da kann auch weniger Anpassung geleistet werden — gewöhnlich ist das in Notsituationen der Fall. Und es mag Zeiten geben, wenn deutlich mehr Anpassung unabdingbar ist. Das allgemeine Niveau sollte jedoch nicht unter 15% sinken.
Administration und Meldung sind für uns Kategorien der Verschwendung. Der Aufwand in ihnen sollte minimiert werden.
Hausarbeit ist ebenfalls Verschwendung, ist jedoch eine “Klebstoffkategorie”, ohne die es angesichts mehrerer Kategorien und der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen nicht geht. Hier liegt der Wert darin, diese Aufgaben aus anderen Kategorien herauszulösen, in die sie üblicherweise eingemischt sind. Auf diese Weise gelingt eine Kontrolle besser.
Bei allen Verschwendungskategorien ist es wichtig, ein Auge darauf zu haben, dass die Aufgaben in ihnen nicht ausufern! Sonst entsteht Laufunruhe, Überlastung, ganz einfach Stress.
Wozu gehören nun die im obigen Beispiel genannten Tätigkeiten?
Telefonat zur Angebotsnachverfolgung? Facharbeit/Wertschöpfung.
E-Mail zur Reisekostenabrechnung? Administration.
NLP-Workshop? Anpassung/Lernen.
Wie sieht es bei Ihnen aus? Schauen Sie sich doch mal einen Ihrer Tage an und kategorisieren Sie ihre Tätigkeiten. Und dann summieren Sie und halten die Anteil gegen das Schema. Wo liegen Ihre Abweichungen? Mehr Facharbeit oder Anpassung würden wir begrüßen — weniger deutet auf Verbesserungspotenzial hin.
Zur Wurzel der Überlastung
Was hat diese Kategorisierung mit Ihrem Überlastungsgefühl zu tun? Das ist sehr einfach: Sie fühlen sich immer dann überlastet, wenn Sie mehr Zeit für die Aufgaben in einer Kategorien brauchen, als Sie ihnen zugestanden haben.
Intuitiv unterscheiden Sie sicher zwischen z.B. Facharbeit und Administration. Wenn Sie schon durch die Facharbeit kaum wissen, wo Ihnen der Kopf steht — sie ihr also implizit eigentlich 100% Ihrer Kapazität zugestehen —, dann überlastet Sie jede administrative Aufgabe.
Genauso mit dem Lernen oder der Veränderung: Eigentlich wollen Sie nur “Ihren Job machen”, also Facharbeit leisten. Aufgaben aus anderen Kategorien sind da immer eine Last.
Doch es ist eine Illusion, dass Ihnen 100% Arbeitszeit für Facharbeit zur Verfügung stehen. Sie müssen ablassen von einer Vorstellung, in der andere Zwecke keinen Platz haben. Zur systematischen Arbeit gehört die Anerkenntnis, dass andere Zwecke Aufmerksamkeit brauchen — allerdings im Rahmen. Deshalb unser Vorschlag eines Schemas.
Dass administrative Aufgaben zu erledigen sind, dass Sie “Meldung machen müssen”, dass es auch Hausarbeit gibt… das alles ist überraschend wie Weihnachten. Stellen Sie sich darauf ein und fangen Sie an, Ihr Zeit bewusst zu strukturieren. Das bedeutet, dass Sie das Wichtigste — Facharbeit und Anpassung — so weit wie möglich ausdehnen und alles andere nur als nötiges Übel auf seinen Platz verweisen.
Übrigens gilt das dann auch innerhalb von Kategorien. Was tun Sie denn in den 60% Facharbeit? Wie strukturieren Sie Ihre Aufmerksamkeit darin für einzelne Aufgaben oder Projekte? Nur, wenn Sie das planen, können Sie erkennen, wo Sie zurecht überlastet sind und wo es gilt, Veränderungen vorzunehmen.
Hier noch einige Gedanken dazu:
Nehmen Sie also Überlastung nicht einfach hin. Machen Sie einen Plan, wie Sie Ihre Zeit im Hinblick auf grundlegende Zwecke nutzen wollen. Sprechen Sie das mit Kollegen und Vorgesetzten ab. Dann schauen Sie, wie Ihre Kapazitätseinteilung zur Aufgabenlast passt. Nur mit einer Vorstellung von Soll-Kapazitäten können Sie legitim Nein sagen zu weiteren Aufgaben, die an Sie herangetragen werden. Die Soll-Kapazitäten ziehen für Sie eine Grenze, innerhalb derer Sie zuverlässig und entspannt beste Facharbeitsresultate liefern können.
Wenn Sie Fragen zur Anwendung des Schemas in Ihrer Arbeitsumgebung haben, melden Sie sich gern jederzeit: