Die Engpässe der Veränderung
Jedes Produkt ist das Ergebnis eines Prozesses, der das Ergebnis eines Prozesses ist, der das Ergebnis eines Prozesses ist, der wiederum das Ergebnis eines Prozesses ist.
Warum sind Veränderungen in Unternehmen so schwierig? Woran hapert es, dass manches sich nur so schwerfällig oder gar nicht verbessert? Auch hier hilft ein Verständnis dafür, dass Transformationen gem. der Theory of Constraints (TOC) stets durch einen Engpass begrenzt werden.
Begrenzung der Produktion
Die Transformation, die gewöhnlich optimiert werden soll, ist die, die unmittelbar wertschöpfend ist. Das ist die Produktion der Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens:
Ein Unternehmen bekommt einen Auftrag.
Der Auftrag durchläuft mehrere Produktionsschritte, in die Ressourcen einfließen.
Am Ende wird das Produkt geliefert.
Wie viele Schritte die Produktion hat, wie viele Ressourcen beteiligt sind, ob es sich um einen Standardprozess oder ein noch nie da gewesenes Projekt handelt, ist unerheblich. Wie auch immer die Produktion aussieht, sie ist durch einen Engpass begrenzt; seine Kapazität bestimmt den maximalen Durchsatz des Unternehmens für diese Art Produkte und damit den pro Zeiteinheit generierbaren Umsatz.
Im Beispiel-Produktionsprozess ist Schritt 2 der Engpass. Er kann nur z.B. zu 10 Broten pro Zeiteinheit beitragen, während Schritt 1 in einer Zeiteinheit 20 Brote voran bringen und Schritt 3 in einer Zeiteinheit 35 Brote fertigstellen kann.
Auch wenn die rohe Kapazität der Schritte 1 und 3 größer als die von 2 ist, ist der Durchsatz des ganzen Prozesses pro Zeiteinheit auf 10 Brote begrenzt.
Daraus folgt: Jede Verbesserungsmaßnahme, die nicht am Engpass ansetzt, ist nicht geeignet, den Durchsatz des Prozesses insgesamt zu erhöhen. Ohne einen Fokus auf den Engpass kann der Umsatz pro Zeiteinheit also nicht gesteigert werden.
Warum wird dennoch oft am Engpass vorbei an der Produktion “geschraubt”? Weil das Bewusstsein fehlt, dass sie überhaupt vom Engpass abhängig ist. Verbesserungsinitiativen sind daher oft leider kaum mehr als Aktionismus in Ignoranz. Und wenn sie tatsächlich einen Effekt haben sollten, dann ist der eher zufällig, weil das Aktivitätsfeuerwerk gelegentlich auch den Engpass beleuchtet.
Oft fehlt es jedoch gänzlich an Verbesserungsinitiativen — bis irgendwann Probleme so groß geworden sind, dass sie nicht mehr geleugnet werden können. Woran liegt das? Die TOC weiß auch hier Antwort!
Begrenzung der Modifikation
Die Veränderung der Produktion ist selbst wieder eine Transformation. Ihr Ergebnis ist nicht das Produkt des Unternehmens, sondern ein veränderter Prozess für seine Produktion.
Ein Modifikationsprozess unterscheidet sich kategorial nicht von einem Produktionsprozess. Auch er hat einen Ausgangspunkt, einen Input — den existierenden Prozess — und ein Ergebnis, einen Output — einen verbesserten Prozess — und besteht aus mehreren Schritten. Und einer dieser Schritte ist wiederum ein Engpass, der den Durchsatz der Modifikation begrenzt:
Warum kommen Veränderungsprozesse nicht so schnell voran, wie es sich ihre Stakeholder wünschen? Weil ihr Engpass nicht die nötige Kapazität für schnelleren Fortschritt hat.
Die Produktion ist vielleicht begrenzt durch die Kapazität einer Maschine. Die Modifikation kann begrenzt sein durch den Beschaffungsprozess für eine bessere Maschine.
Begrenzung der Reflexion
Wenn eine Veränderung darunter leidet, dass kein Bewusstsein für den Engpass ihres Modifikationsprozesses existiert, ist das misslich — doch es ist schon ein wichtiger Schritt getan worden: die Veränderung wurde überhaupt angestoßen.
In vielen Unternehmen fehlt es jedoch schon daran. Die Produktion ist suboptimal, aber keine Verbesserungsinitiative wird gestartet. Wie kann das sein?
Auch hier geht es wieder um eine Transformation: Ein Zustand, in dem keine Modifikation läuft, müsste überführt werden in einen, in dem eine Modifikation läuft. Aus “Nichts” müsste ein Modifikationsprozess geschaffen werden.
Der Prozess, der einen Modifikationsprozess initiiert, ist die Reflexion.
In der Reflexion betrachtet sich das Unternehmen selbst, um Bereiche zu identifizieren, die einer Modifikation bedürfen. Das Ergebnis der Reflexion ist ebenfalls ein Prozess; der kann neu sein, d.h. aus dem Nichts geschaffen wie im Bild, oder er kann ein verbesserter sein.
Ob, wann welcher Modifikationsprozess initiiert wird, hängt — wie könnte es anders sein — allein vom Engpass des Reflexionsprozesses ab.
Wenn eine Modifikation durch den Beschaffungsprozess für eine Maschine begrenzt sein kann, dann kann die Reflexion begrenzt sein durch die Wahrnehmung der Entwicklung der Durchsätze der verschiedenen Produktionsprozesse. Wird kein Verbesserungspotenzial wahrgenommen, wird keine Modifikation angestoßen.
Oder die Reflexion ist dadurch begrenzt, dass sie schlicht fehlt. Auch das ist immer wieder zu beobachten. Wie kann es dazu kommen?
Begrenzung der “Meditation”
Reflexionsprozesse entstehen nicht “einfach so”. Sie müssen gewollt sein. Kontinuierliche Verbesserung bedeutet, dass kontinuierlich Modifikation und vorgelagert kontinuierliche Reflexion (über die Modifikation(snotwendigkeit)) stattfinden.
Diese Meta-Prozesse, also Prozesse, deren Output Prozesse sind, schöpfen nicht unmittelbar Wert. Im Gegenteil: zunächst kosten sie Geld. Das Verständnis, dass sie in Zukunft mehr Geld einnehmen oder Geld sparen helfen, gehört nicht zum Weltbild jedes Unternehmens.
Dass ein Weltbild solche Lücke aufweist, ist wiederum Ergebnis eines Prozesses: der “Meditation”, d.h. einer Transformation, die die Welt betrachtet und erkennt, dass deren Zustand im Fluss ist. Die “Meditation” besteht aus unvoreingenommener Betrachtung der Realität. Ohne Zorn und Eifer nimmt sie Fluss wahr oder stellt Konflikte fest. Und wo Konflikte den Fluss (drohen zu) behindern, initiiert sie eine nähere Betrachtung durch Reflexion.
Die Meditation ist die grundlegende Transformation für jedes langlebige Unternehmen. Die Meditation lässt die Bereitschaft zur Veränderung entstehen. Sie macht durchlässig. Aber natürlich kann auch der Meditationsprozess durch einen Engpass begrenzt sein, der das Bewusstsein für die Reflexion nur in ungenügender Weise entstehen lässt.
Unhinterfragte frühere Entscheidungen, blinde Flecken, Tabus, Traditionen, Glaubenssätze… all das und mehr kann kapazitätsreduzierend auf die Meditation wirken — bis zu ihrer Abwesenheit.
Engpasskonzentriertes Fragen
Aus einem Verständnis der Prozesse und Meta-Prozesse ergibt sich ein Ansatz für die Analyse suboptimaler Verhältnisse:
Warum dauert die Lieferung der Produktion so lange, warum ist der Umsatz so gering? Die Ursache ist im Engpass der Produktion zu suchen.
Warum ist der Engpass noch nicht geweitet? Die Ursache dafür ist im Engpass der Modifikation zu suchen.
Warum wird die Modifikation noch durch ihren Engpass so begrenzt? Die Ursache liegt in der Reflexion.
Warum liefert die Reflexion einen nur ungenügenden Modifikationsprozess? Die Ursache liegt in der “Meditation”.
Was ist der Engpass im Meditationsprozess, der letztlich Lieferung und Umsatzgenerierung begrenzt?
Es ist verständlich, wenn die Produktion sich auf ihre Wertschöpfung konzentriert. Management und Führung im Unternehmen jedoch sollten alle Transformationsdimensionen im Blick haben.
Veränderungen “weiter unten” können nur im “weiter oben” gesteckten Rahmen stattfinden — und der der wird durch den jeweiligen Engpass aufgespannt.
Wer mag, kann statt “oben-unten” auch “innen-außen” denken:
Die Produktion ist der sichtbare Prozess, der nur die äußere Schale einer “Prozess-Zwiebel” ist, in deren Kern die “Meditation” steckt. Aus ihr wächst von innen nach außen die Prozesslandschaft eines Unternehmens mehr oder weniger flüssig.
Fazit
Die Produktion stockt, Unzuverlässigkeit grassiert, der Umsatz lässt zu wünschen übrig? Dann stellt sich die Frage nach dem Engpass. Welchem Engpass? Zunächst dem, der unter eigener Kontrolle steht. Aber Vorsicht: Das kann zu lokalen Optimierungen führen! Deshalb sollte der Blick geweitet werden auf die Transformationen der höher liegenden Ebenen. Wo findet sich dort ein Ansatzpunkt bei einem Engpass, der weitreichendere Verbesserungen bewirken kann? Wo kann global(er) optimiert werden?
In der Produktion ist die Transformation noch vergleichsweise handfest. Das lässt schnelle Eingriffe nahe liegen. Je höher die Transformationsebene, desto weniger greifbar ist deren Prozess. Die Suche nach dem Engpass gestaltet sich zunehmend schwierig und geht alsbald “ans Eingemachte”. Doch auch wenn das dem Praktiker gegen den Strich gehen mag oder Ängste auslöst, weil Vorgesetzte oder “heilige Kühe” sich als Teil des Problems entpuppen sollten, lässt sich am “Naturgesetz” der Begrenzung aller Transformation durch einen Engpass nicht rütteln. Wer den zentralen Einfluss des Engpasses leugnet — auf welcher Ebene auch immer —, der ist verdammt zu suboptimalem Erfolg.