Die Gründerinnen haben einen schönen Fortschritt gemacht. Während sie zu Beginn zwar nicht sich, aber ihre Kunden überfordert haben mit länger und länger werdenden Lieferzeiten…
…ist ihr Backlog nun viel entspannter mit dem neuen Ansatz ohne Multi-Tasking, aber mit WIP>1 für das Team und WIP=1 für jede einzelne von ihnen als Ressource. Niemand unterbricht mehr seine Arbeit; was angefangen wurde, wird zuerst fertig gemacht, bevor etwas Neues angefangen wird. Das Erfolgsmotto ist: finish first.
Die Kurven von Auftragseingängen und Lieferungen sind nun eng beieinander.
Allerdings: Annette, Beatrice und Carolin haben auch erfahren, dass ihre Kapazität begrenzt ist. Sie können nur liefern, wie es ihr Engpass zulässt, also Phase B in der Produktion der Geschäftsberichte. Ob sich Annette oder Carolin mehr ins Zeug legen in ihren Phasen, ist unerheblich; es kommt allein auf Beatrice an. Bei ihr kommt der Fluss der Bearbeitung ins Stocken.
Ihre bisherigen Verbesserungen sind das Resultat einer Aufteilung der Produktion. Begonnen hatten sie mit einem undifferenzierten Produktionsblock, für den eine einzige undifferenzierte Ressource zuständig war.
Die Differenzierung der Produktion in getrennte, sequenzielle Schritte, und die Differenzierung der einen Ressource “Team” in einzelne Mitglieder mit Verantwortlichkeit für die Phasen, hat sie einen großen Schritt voran gebracht.
Ihr anfängliches Ideal, dass jede Ressource stets nur an einem Auftrag arbeiten sollte, konnten sie erhalten. Allerdings ist jede Ressource jetzt nur noch für einen Teil jedes Auftrags zuständig. Doch das ist die Voraussetzung dafür, dass sie als ganzes Team eben mehrere Aufträge gleichzeitig in Arbeit haben können (WIP>1), ohne sich mit steigenden Lieferzeiten ins Aus zu schießen. Zumindest ist das bei der aktuellen Auftragslage noch der Fall.
Sie brauchen jedoch mehr. Wenn das Marketing weiterhin gut klappt und ihre Kunden zufrieden sind und mehr wollen, sollte die Zahl der Aufträge weiter steigen. Sind sie dafür gewappnet? Haben sie Luft in der Produktion? Derzeit ist die durch Beatrice auf 2 Aufträge pro Tag begrenzt. In 18 Tagen pro Monat kämen sie damit auf maximal 18*2*250€ = 9.000€ Umsatz. Für ihr Umsatzziel 10.000€ müssten sie jeden Tag aber min. 2,3 Aufträge schaffen, besser runde 2,5 für etwas Puffer.
Wie können sie das erreichen? Woran können sie bei ihrem Produktionsprozess feilen? Wäre es besten, sie verkürzten ihre Produktionszeit insgesamt? Weniger Flow Time bedeutet schnellere Lieferung, so dass mehr Aufträge angenommen werden können. Oder?
Das Erfolgsparadoxon
Die Gründerinnen diskutieren Optimierungsansätze. Wenn ihnen bisher eine Differenzierung des Prozesses geholfen hat, warum dann nicht versuchen, weiter zu differenzieren?
Tatsächlich: Wenn sie genauer hinschauen, dann können sie sich eine Aufteilung in diese Prozessschritte vorstellen:
Aber ob das wirklich so eine gute Idee ist? Denn bei dieser Unterteilung verlängert sich die Produktion!
Statt 5,5 Stunden würde es nun 6 Stunden dauern, einen Geschäftsbericht herzustellen. Der Grund ist der Schritt A2: Er dient einer besseren Vorbereitung der Ergebnisse der bisherigen Phase A für die Phase B. Damit verlängert sich allerdings die Beteiligung von Annette an der Produktion (bisher 1 Stunde, nun 1,5 Stunden).
Phase B selbst wird durch die Unterteilung nicht beschleunigt. Allerdings sehen sie nun einen Schritt B2, der abgetrennt werden kann. Der besteht aus Tätigkeiten, die Carolin Beatrice abnehmen würde. Auch Carolin wäre also länger in die Produktion involviert (bisher 1,5 Stunden, nun 2 Stunden).
Kann diese neue Strukturierung des Produktionsprozesses bei der Optimierung der Lieferung helfen? Die Flow Time ja ist gestiegen!
Die Gründerinnen wollen nicht spekulieren und darauf warten, sich das Ergebnis der Arbeit nach diesem Schema in ein oder zwei Wochen anzusehen. Stattdessen führen sie eine Simulation durch. Sie wenden das neue Schema auf die erste Aprilwoche an. Ihre Frage: “Wie hätten wir gearbeitet und geliefert, wenn der Prozess damals schon so gewesen wäre?”
Das Ergebnis ist verblüffend:
Die längere Produktionszeit hätte keine negative Auswirkung auf ihre Lieferungen gehabt. Sie verzögert keinen Auftrag! Am 8.4. wären genauso viele Aufträge fertiggestellt gewesen wie mit dem alten Prozess.
Und es kommt noch besser! In der Gegenüberstellung der realen Produktion und der simulierten zeigt sich ein positiver Unterschied für die einzelnen Aufträge:
Die Wait Time hat für alle Aufträge abgenommen! War die Flow Efficiency real für den letzten Auftrag im Bild 63%, so wäre sie mit dem simulierten Prozess 75%.
Wer hätte das gedacht? Die Gründerinnen fühlen sich an ein japanisches Sprichwort erinnert:
Sie haben ihre Produktion verlangsamt, aber den Durchsatz nicht verringert, sondern erhöht. Das ist in der Simulation noch nicht deutlich, aber es lässt sich ja errechnen.
Wie lang die einzelnen Schritte brauchen, ist nicht so entscheidend. Für den Durchsatz ist wichtig, wie lange die jeweiligen Ressourcen “in einem Stück” beschäftigt sind.
Annette war bisher in 1 Stunde mit Phase A durch. Jetzt braucht sie für A1 + A2 jedoch 1,5 Stunden. Das ist länger als früher, doch das macht ja nichts, weil Annette nicht der Engpass war.
Carolin war bisher 1,5 Stunden mit Phase C beschäftigt. Jetzt ist sie auch noch für B2 im Einsatz und braucht für B2 + C 2 Stunden. Das macht ebenfalls nichts, weil sie ja nicht der Engpass war.
Beatrice hingegen hat in B bisher 3 Stunden gearbeitet — und ist jetzt nur noch 2,5 Stunden beschäftigt. Das ist der Hit, denn sie war der Engpass! Dessen Kapazität ist nun erhöht. Beatrice kann ihre Arbeit schneller erledigen und steht damit schneller für weitere Aufträge bereit. Zwar ist sie immer noch der Engpass im Prozess, doch der ist nun geweitet, von max. Durchsatz 2 auf 2,4.
Wenn der monatliche Umsatz mit ihrem Geschäftsberichtsprodukt begrenzt ist durch den Engpass, dann ergibt sich aus dessen neuer Kapazität auch ein neuer monatlicher Maximalumsatz: In 18 Tagen à 6 Stunden können mit dem überarbeiteten Prozess knapp 18 * 2,4 = ca. 44 Aufträge bearbeitet, d.h. 44 * 250€ = 11.000€ umgesetzt werden.
Wahnsinn!
Ist das nicht paradox? Die Arbeit an einem Auftrag dauert länger, seine minimale Lieferzeit erhöht sich von 5,5 auf 6 Stunden — und trotzdem liefern die Gründerinnen insgesamt nicht langsamer und können insgesamt mehr Geld verdienen.
Das ist kontraintuitiv. Sie trauen zuerst ihren Augen nicht. Doch die Erfahrung zeigt, dass bei einer Produktion mit WIP>1 und Einsatz von mehreren Ressourcen nicht die netto Produktionszeit entscheidend ist, sondern lediglich der Engpass in der Folge der Prozessschritte.
Die Gründerinnen lernen: Was landläufig plausibel erscheint, ist also nicht unbedingt korrekt. Dafür braucht es allerdings einen differenzierten Blick und Willen zur Systematik.
Solange sie ihre Aufträge und ihre Arbeitsweise pauschal betrachtet haben, haben sie ihre Kunden nicht zügig bedienen können.
Solange sie nur “wild drauf los” es allen schnellstmöglich recht machen wollten, haben sie sich in die Erschöpfung gearbeitet.
Erst eine saubere Prozessgestaltung inkl. Arbeitsteilung hat sie in die Lage versetzt, die notwendige Auftragslast für ihr Umsatzziel auch stemmen zu können. Alles andere vorher war naiv und Wunschdenken.
Mit dieser Erkenntnis fühlen sich Annette, Beatrice und Carolin gewappnet für die Zukunft. Sie werden ihre Marketinganstrengungen beibehalten, um noch mehr Aufträge an Land zu ziehen, und trotzdem ruhig zu schlafen. Mit dem neuen Prozess haben sie Luft für mehr Erfolg.
Und wenn der sich einstellt, machen sie sich Gedanken über weitere Optimierungen. Sie haben das Zutrauen, mit dem Hebel Engpass-Fokus noch viel mehr schaffen zu können. Wenn sie erstmal weitere Produkte an den Start bringen, wird das auch nötig sein.
Das war Staffel 1 der Serie “Tanz um den Engpass”. Wer dabei geblieben ist, konnte die Entwicklung des Start-up Instant Insight von seinen ersten Aufträgen bis in die schwarzen Zahlen verfolgen. Denn dass die Gründerinnen die noch fehlenden Aufträge einwerben können, steht außer Zweifel. Der Markt war für sie nicht der Engpass; die Kunden waren willig, ihren Service zu nutzen.
Doch nun ist gewiss, dass sie mit diesem Erfolg auch umgehen können. Ihre Produktion ist für den nötigen Umsatz aufgestellt. Das war zunächst nicht der Fall. Zum Glück haben sie aber rechtzeitig erkannt, dass sich Verbesserungen immer auf einen Punkt konzentrieren sollten: den Engpass. Optimierungsaufwand an anderer Stelle zu treiben, lohnt nicht.
Die Staffel hat also ein Happy End!
Aber wie geht es weiter mit Annette, Beatrice und Carolin? Können sie ihr Geschäft ausbauen? Wie gehen sie mit Nachfrage um, die ihre Kapazität überschreitet? Wie bringen sie neue Produkte an den Markt? Wer bei den weiteren Staffeln dabei sein will, drückt den Knopf.