Das Geschäft von Annette, Beatrice und Carolin, den Gründerinnen von Instant Insight, hat ein bisschen Fahrt aufgenommen. Sie haben so viele Aufträge, dass jeden Tag etwas zu tun ist. So kommt schon etwas Geld herein. Doch das ist nicht genug.
Die drei haben sich ein Umsatzziel von 10.000€ pro Monat gesetzt. Damit würden ihre Kosten gedeckt und jede würde auch schon ein kleines Gehalt bekommen.
An den Markt sind sie mit 250€ pro Geschäftsbericht gegangen. Das ist sehr günstig, sie würden gern einen höheren Preis aufrufen, doch sie wollen damit erst einmal Interesse wecken und die Hemmschwelle bei der Zielgruppe senken. Sie sehen ihren aktuellen Semi-Standardbericht als Einsteigerprodukt; später wollen sie darum herum Premiumprodukte anbieten.
Zunächst haben die Gründerinnen gedacht, sie könnten jeden Tag 8 Stunden an Geschäftsberichten arbeiten, um das Umsatzziel zu erreichen. Aber wie sie schon jetzt gemerkt haben, klappt das nicht. Es gibt noch andere Dinge zu tun, die sie nicht vernachlässigen dürfen:
Marketing kostet Zeit,
die Verkaufsverhandlungen bis zur Auftragserteilung kosten Zeit,
die Reflexion über ihre Arbeit kostet Zeit
und dann ist da auch noch “das bisschen Buchhaltung”, das sich nicht von allein macht.
Deshalb setzen sie nur eine Tagesproduktionskapazität für die Auftragsbearbeitung von 6 Stunden für jede von ihnen an und das auch nur für 18 Tage im Monat. Bei üblichen 21 Arbeitstagen pro Monat mit je 8 Stunden, stehen ihnen also nur ca. 65% zur Verfügung, um wirklich zu produzieren und Geld zu verdienen. Die restliche Arbeitszeit verwenden sie stunden- oder tageweise auf andere wichtige Tätigkeiten.
Von anderen Gründern und wohlmeinenden Freunden haben sie gehört, dass eine solche Begrenzung der Produktions- bzw. Arbeitszeit vielleicht nicht ganz zu einem Start-up passt. Gerade am Anfang müsse man “Vollgas geben”, sonst könne ein neues Business nie abheben und ein Erfolg werden. 12 oder gar 16 Stunden Arbeit pro Tag, Arbeit am Wochenende, kein Urlaub, das sei normal für Gründungen.
Aber die drei glauben nicht daran, dass “Schuften” von Anfang an ein Erfolgsrezept ist. Sie wollen sich nicht überfordern und dadurch unnötig Kraft verlieren. Geregelte Arbeitszeiten sind für sie das Fundament für langfristigen Erfolg. Deshalb sind sie lieber bescheiden in ihren Ansprüchen und bemühen sich um eine gute Planung.
Bisher läuft es mit diesem Ideal für sie auch noch gut. Die Auftragslast ist weit unter dem, was sie meinen, stemmen zu können. Dennoch nehmen sie eine erste Korrektur vor und planen wirklich nur mit 6 Stunden pro Tag statt der bisherigen 8. In 6 Stunden lässt sich ein Geschäftsbericht ja auch anfertigen; die Produktionszeit ist dafür 5,5 Stunden; da ist sogar noch ein wenig Luft.
Allerdings: Mit einem Geschäftsbericht pro Tag für 250€ erreichen sie ihr Umsatzziel nicht. Bei 18 Tagen pro Monat wäre ihr Umsatz 4.500€; selbst wenn sie in dieser Weise jeden von 30 Tagen im Monat arbeiten würden, kämen sie nur auf 7.500€.
Bis zum Umsatzziel von 10.000€ ist es noch ein weiter Weg. Es müssen also mehr Aufträge her.
Die Kunden sind begeistert
Nach ein paar Wochen geht der Wunsch der Gründerinnen in Erfüllung: die Auftragszahl steigt merklich. Ob es ihr kleiner Stand auf einer Handelskammerveranstaltung war oder die LinkedIn-Postings das bewirkt haben oder ihre bisherigen Kunden bei Branchentreffen den Kollegen begeistert von ihrem Produkt berichtet haben… sie wissen es nicht genau, fühlen sich aber in ihren Gesamtanstrengungen für das Marketing bestätigt.
Die Auftragseingänge in den ersten drei Märzwochen 2022 sehen gut aus:
23 Aufträge in 14 Tagen, das sind 1,6 pro Tag im Durchschnitt. Wenn das so weitergeht, kämen 29 Aufträge in ihren monatlich 18 Arbeitstagen zusammen. Das wäre ein Umsatz von 7.250€. Nicht schlecht — auch wenn eine Lücke zum Umsatzziel bliebe. Die Auftragslage hat sich also entspannt.
Angespannt hat sich hingegen die Produktionslage. Zuerst dachten die Gründerinnen, sie könnten die Aufträge einfach nacheinander abarbeiten. So sah ihre Produktion für die ersten drei Wochen im März aus:
Der Abbruch der Auftragseingänge nach dem 18.3. ist nicht real. An dem Tag haben die Gründerinnen nur Bilanz gezogen und überlegt, wie es weitergehen würde, selbst wenn keine Aufträge mehr hereinkämen. So ist ihnen das Drama der Lieferzeit bewusst geworden: Die Touch Time und auch Flow Time je Geschäftsbericht waren weiterhin konstant 5,5 Stunden. Doch die Dauer von Auftragseingang bis Fertigstellung, die Lieferzeit (oder Lead Time (LT)), wuchs von einem Tag am Anfang des Monats auf 13 Tage. Das war nicht mehr akzeptabel für ihre Kunden. Außerdem war kein Ende dieses Wachstums abzusehen. Würden die Aufträge weiter so einfließen, würde die Lieferzeit länger und länger werden. Die Eingangsrate für Aufträge war schlicht größer als die Lieferrate; der Berg der unerledigten Aufträge — das Backlog — wuchs ständig.
Wenn mehr hereinkommt als abgearbeitet werden kann, entsteht ganz natürlich ein wachsender Haufen von Unerledigtem.
Hier die Eingänge den Lieferungen nur der ersten 18 Tage im März gegenüber gestellt:
Dass die Gründerinnen bei der Lieferzeit nicht aufholen, sondern nur verlieren konnten, zeigt sich daran, wie die beiden Kurven auseinander gehen. Die Eingangskurve ist steiler als die Lieferkurve. Die Lieferzeit kann daher nur zunehmen, solange die Auftragslage so bleibt oder gar besser wird.
Was nun? Dass die Auftragsrate schlechter wird, ist nicht zu wünschen. Dass die Lieferzeit weiter zunimmt, ist nicht akzeptabel. Annette, Beatrice und Carolin kommen nicht umhin, ihre Arbeitsorganisation zu überdenken.
Sollen sie Überstunden und Wochenendschichten einlegen? Das würde gegen ihre Prinzipien sprechen.
Sollen sie die Berichte vereinfachen, um schneller zu sein? Das würde die Touch Time bzw. Flow Time verringern — aber auch ihren Ansprüchen nicht mehr gerecht werden. Für weniger Qualität könnten sie nicht mehr denselben Preis fordern.
Oder sollen sie von ihrer first come, first serve Regel abweichen, um Kunden, die nicht 13 Tage warten können, früher zu bedienen? Das fänden sie ungerecht, auch wenn sich so vielleicht ein “Expresszuschlag” rechtfertigen ließe. Das Grundproblem wäre damit andererseits nicht angegangen.
Oder gibt es noch eine andere Möglichkeit, die Lieferung zu beschleunigen?
Für welche Lösung sich die Gründerinnen entscheiden, beschreibt der nächste Artikel in dieser Serie.
So weit ist jedenfalls klar: Auch der beste Plan hat es schwer, die Realität zu überleben. All die Vorsätze der Gründerinnen scheinen in Gefahr. Ist ihr Umsatzziel erreichbar, wenn sie ihre Kapazität so strickt begrenzen, um nicht nur für die Arbeit zu leben? Kann ihr Business überhaupt ins Fliegen kommen, selbst wenn der Markt genügend Interesse hätte?
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