Der Fluch des Erfolges: die Auftragslast wächst. Wie können Annette, Beatrice und Carolin sie bewältigen, ohne die Lieferzeiten zu stark wachsen zu lassen und ohne vor Arbeit nicht in den Schlaf zu kommen?
Müssen sie an der Produktionszeit für ihr Geschäftsbericht-Produkt feilen? Sind 5,5 Stunden einfach zu lang für die Produktion? Ihre bisherige Erfahrung spricht dagegen. Die Produktionszeit scheint kein Problem zu sein angesichts einer bisher entweder langen Queue Time, bevor sie Aufträge beginnen, oder einer ausufernden Wait Time innerhalb der Produktion beim Multi-Tasking.
Die Lösung muss woanders liegen. Sie schauen sich deshalb ihren Produktionsprozess nochmal genauer an. Den willkürlich in “Scheibchen” zu schneiden beim Multi-Tasking, war keine gute Idee. Doch vielleicht steckt darin eine Struktur, die sich ausnutzen lässt. Vielleicht können sie systematischer produzieren? Bisher hat jede von ihnen zwar einen Arbeits- bzw. Kompetenzschwerpunkt gehabt, doch sie haben trotzdem an den Aufträgen gemeinsam “im Mob” gesessen (vgl. Mob Programming in der Softwareentwicklung). Auf diese Weise haben sie mit jedem Auftrag zusammen etwas gelernt und auch noch ihre Gemeinschaft als Gründerinnen gestärkt. Das hat sich nach echtem Team Work angefühlt.
Allerdings war ihnen dabei auch schon klar geworden, dass nicht all ihre Kompetenzen in gleicher Weise zu jeder Zeit gebraucht wurden. Jeder Geschäftsbericht geht durch mehrere Phasen in seiner Entwicklung, die den Schwerpunkten der Gründerinnen entsprechen. Vielleicht liegt dort ein Lösungsansatz: die Phasen explizit machen, entzerren und nacheinander durchlaufen?
Damit wäre die Herstellung eines Geschäftsberichtes ein echt arbeitsteiliger Prozess. Statt dass alle Gründerinnen als eine Ressource einen Bericht herstellen, würden sie sich aufteilen und als getrennte Ressourcen sequenziell daran arbeiten: zuerst Annette, dann, wenn Annette fertig mit ihrer Arbeit ist, würde Beatrice übernehmen, und wenn Beatrice fertig ist, dann würde Carolin den Bericht abschließen.
Die Arbeitsanteile nach ihren Kompetenzschwerpunkten wären auf diese Weise nicht nur explizit. Es wäre auch deutlich, dass die einen unterschiedlichen Anteil an der Produktion haben:
Die Produktion würde dadurch nicht beschleunigt; für einen Geschäftsbericht brauchen sie weiterhin 5,5 Stunden. Doch Annette würde zu Beginn nur ca. 1 Stunde daran arbeiten, Beatrice anschließend ca. 3h und Carolin zum Schluss 1,5 Stunden.
Annette wäre nach ihrer Phase frei, sich entweder z.B. dem Marketing zu widmen — oder schon einen neuen Auftrag anzufangen. Bis Carolin dran ist, kann auch sie z.B. Buchhaltung machen — oder noch an einem vorherigen Auftrag sitzen.
Die Touch Time so zu strukturieren, fühlt sich gut an für die Gründerinnen. Das sieht systematisch aus. Warum hatten sie das nicht von vornherein so gesehen? Vielleicht mussten sie erstmal Erfahrung sammeln mit ihrer Arbeit; vielleicht lag es aber auch daran, dass sie bisher keinen Bedarf hatten. Erst eine steigende Auftragszahl hat sie Schmerzen spüren lassen. Früher systematisch zu werden, wäre vielleicht eine vorzeitige Optimierung gewesen. Da haben sie ihre Zeit besser auf einen starken Marketingaufschlag verwandt.
Aber nun muss es sein. Eine systematischere Produktion ist definitiv nötig, um ihr Umsatzziel bei gegebenem Produktpreis zu erzielen.
Phasenweise sequenziell produzieren
Die Gründerinnen sind zuversichtlich, dass der prozessorientierte Ansatz eine gute Sache ist. Ende März haben sie die mit Multi-Tasking angefangenen Aufträge abgearbeitet und jeder neue Auftrag ab April wird sauber eingeplant, statt hektisch sofort angefangen und im Halbstundentakt unterbrochen.
Das Ergebnis ist verblüffend (im Bild sind die Wochenenden und Tageswechsel der Einfachheit halber ausgelassen; Werktag folgt auf Werktag mit den für die Produktion zur Verfügung stehenden 6 Stunden):
Obwohl die Auftragslast sogar noch etwas gestiegen ist gegenüber März — von 1,6 Aufträgen pro Tag auf 1,8 —, sieht die Produktion entspannt aus. Den Gründerinnen steht kein Schweiß auf der Stirn, sie sind nicht erschöpft vom Multi-Tasking, und die Lieferzeiten sind fast optimal.
Das ist korrekt: Es gibt kein Multi-Tasking im Sinne unterbrochener Arbeit einer Ressource, dennoch ist WIP für das Team immer mal wieder größer als 1 (z.B. sogar 3 am 7.4.).
Die Systematik ist simpel (vgl. Ziffern im Bild):
Annette, Beatrice und Carolin arbeiten jede in ihren Phasen so lange an einem Auftrag, bis er für sie in ihrer Rolle im Produktionsprozess abgeschlossen ist. Das bedeutet, Annette fängt einen Auftrag nicht an, wenn der eintrifft, sondern beendet in ihrer Phase A erst den, den sie schon angefangen hatte.
Beatrice, die auf der Vorarbeit von Annette aufbaut, unterbricht ihre Arbeit ebenfalls nicht, wenn Annette einen Auftrag in ihrer Phase abschließt. Beatrice konzentriert sich weiterhin auf ihre Phase B, bis der für sie aktuelle Auftrag in ihrer Rolle abgeschlossen ist; erst danach nimmt sie sich den nächsten Auftrag vor, für den Annette ihr Input geliefert hat.
Carolin macht es genauso wie Beatrice. Sie beendet erst einen Auftrag in Phase C, bevor sie den nächsten mit dem Input von Beatrice beginnt.
Aufträge können damit so schnell begonnen werden, wie Annette arbeitet. Für ihre Phase im Prozess braucht sie ca. 1 Stunde, d.h. im Mittel werden Aufträge mit nur 30 Minuten Verzögerung begonnen.
Und falls Annette fertig ist und noch kein weiterer Auftrag im Backlog steht, dann wartet Annette. Was sie mit ihrer Pause macht, ist ihre Sache; sie kann sich der Buchhaltung widmen oder Marketing machen oder sich fortbilden oder ihren Mitgründerinnen helfen.
Wie sich herausstellt, wartet aber nicht nur Annette (auf den nächsten Auftrag). Carolin wartet ebenfalls manchmal. Sie wartet auf Beatrice, weil Beatrice langsamer arbeitet als Annette und Carolin.
Und schließlich wartet auch der Auftrag. Manchmal gibt es Wait Time, wenn Beatrice noch an einem Auftrag arbeitet, Annette aber schon mit ihrer Arbeit am nächsten fertig ist. Doch im Vergleich zu den bisherigen Arbeitsweisen ist die Wait Time jetzt sehr begrenzt. Die Flow Efficiency ist viel, viel besser als beim Multi-Tasking. Beispiel: Der letzte Auftrag im Bild oben hat eine Touch Time von 5,5 Stunden und eine Flow Time von 8,7 Stunden; die Flow Efficiency ist ca. 63%. Das lässt sich sehen!
Gibt es Queue Time? Wartet ein Auftrag in einem Backlog darauf begonnen zu werden? Nein, fast keine; die QT ist vernachlässigbar, weil Annette fast stets bereit ist, um den nächsten Auftrag zu beginnen. Das ist so, weil ihre Phase die kürzeste ist.
Annette wartet auf neue Aufträge (1. im Bild), Carolin wartet auf Beatrice (2. im Bild), Aufträge warten auf Beatrice (3. im Bild) — nur Beatrice selbst wartet nicht. Sie hat zwar nicht immer etwas zu tun, wie z.B. am 5.4., aber sie läuft nie leer.
Das Muster für Beatrice ist vielmehr, dass für sie Auftrag an Auftrag direkt anschließt. Solange WIP ≥ 2 für das Team ist, hat Beatrice eigentlich immer etwas zu tun, während die anderen auch mal Däumchen drehen.
Woran liegt das?
Beatrice braucht am längsten für ihre Phase; alle anderen sind schneller. Schritt B im Produktionsprozess ist einfach am umfangreichsten. So ist das in jedem Prozess mit irgendeinem Schritt. Der braucht am meisten Kapazität, dort fließen Aufträge am langsamsten durch — und deshalb ist der Schritt dann ein Flaschenhals für den Fertigstellungsfluss.
Der Engpass begrenzt den Durchsatz
In der Reflexion ihrer neuen Arbeitsweise erfreuen sich die Gründerinnen an ihrer Entspannung; die Kuh ist erstmal vom Eis. Beatrice hat zwar am meisten mit der Geschäftsberichtsproduktion zu tun, doch deshalb ist sie nicht erschöpft. Sie kann sich auf jeden Auftrag konzentrieren, bis ihre Arbeit daran abgeschlossen ist; das empfindet sie als befriedigend.
Sie denkt auch nicht, die anderen seien faul. Wenn die warten, kümmern sie sich in anderer Weise um die Firma. Es gibt immer etwas zu tun. Jede leistet permanent einen Beitrag, mal im Rahmen eines Auftrags, mal außerhalb.
Bei der aktuellen Auftragslage können sie sogar überlegen, ob sie die Arbeitszeit für die Produktion wieder auf 8 Stunden erhöhen. Die Wartezeit um ihre Phasen ist für Annette und Carolin derzeit lang genug, dass sie darin Marketing, Buchhaltung usw. unterbringen können. Dafür müssen sie nicht zusätzlich zwei Stunden pro Tag reservieren.
Allerdings wissen sie jetzt, dass damit Vorsicht geboten ist! Wenn sie von der Auftragsbearbeitung ins Marketing oder die Buchhaltung wechseln, dann betreiben sie im Grunde wieder Multi-Tasking; zumindest solange in den Bereichen nicht Aufgaben in der Wartezeit der Auftragsbearbeitung abgeschlossen werden können. Es droht die Gefahr von Unübersichtlichkeit, Switch Times und zunehmenden Flow Times bei den Tätigkeiten, die sie zwischen die Aufträge schieben. Außerdem müssen sie jederzeit bereit sein, ihre “Nebentätigkeiten” zu unterbrechen, wenn in der Auftragsbearbeitung die Wartezeit endet. Wenn ein neuer Auftrag reinkommt, muss Annette “alles stehen und liegen lassen”, falls sie nicht mit einem anderen Auftrag beschäftigt ist, um den neuen Auftrag zu beginnen. Dito für die anderen beiden. Auftragsbearbeitung hat die höchste Priorität; damit generieren sie unmittelbar Umsatz. Alles andere ist dem unterzuordnen.
Die explizite Strukturierung ihrer Produktion macht ihnen nun auch deutlich, wie viel Geld sie maximal verdienen können pro Monat. An jedem Arbeitstag ein Auftrag, ist nur eine erste Näherung, weil die 5,5 Stunden Produktionszeit für einen Geschäftsbericht in einen Tag passen. Das ergäbe 18 Aufträge pro Monat. Wenn sie sequenziell mit WIP=1 Produktion an Produktion reihen würden, dann würden sogar knapp 20 Aufträge in 18 Tagen à 6 Stunden Arbeitszeit möglich sein.
Doch das ist zu einfach gerechnet. WIP = 1 aufs Team gerechnet, ist gar nicht nötig. Wie sie mit WIP beim Multi-Tasking umgegangen sind, war grauenhaft. Aber die sequenzielle Arbeit je Phase bzw. Ressource mit einem WIP>1 für das Team, hat wunderbar funktioniert. Was jetzt die maximale Auftragskapazität bestimmt, ist nicht die Produktionszeit für einen ganzen Geschäftsbericht, sondern nur die der längsten Phase.
Wenn Beatrice ständig beschäftigt ist, wenn sie nie auf Arbeit warten muss während der bisherigen 6 Arbeitsstunden pro Tag, dann kann sie in 18 Tagen 36 Aufträge bearbeiten. Das klingt schon viel besser; das klingt schon fast ausreichend. Damit ließen sich beim aktuellen Preis 9.000€ umsetzen. Nur 1.000€ würden fehlen bis zum Umsatzziel.
Arme Beatrice, denn sie wäre jeden Tag den ganzen Tag am produzieren. Das klingt schon etwas stressig. Doch letztlich arbeiten die anderen deshalb nicht weniger. Sie beschäftigen sich, falls sie Wartezeiten haben sollten, eben mit anderen wichtigen Aufgaben.
Die Erkenntnis der Gründerinnen ist: der maximale Verdienst wird durch die Kapazität eines Flaschenhalses begrenzt! Alle anderen Phasen im Prozess spielen dafür keine Rolle. Der Flaschenhals verengt den Fluss der Arbeit; die Auftragsflussrate ist dort am kleinsten:
Phase A: 1 Auftrag pro Stunde = Auftragsbearbeitungsrate 1
Phase B: 1 Auftrag pro 3 Stunden = Auftragsbearbeitungsrate 0,33
Phase C: 1 Auftrag pro 1,5 Stunden = Auftragsbearbeitungsrate 0,66
Eine Darstellung für den Prozess, die das deutlich macht, ist eine, in der jede Phase einen “Durchmesser” hat, der ihrer Auftragsrate entspricht.
Ein Prozess hat immer mindestens einen Schritt, der im Verhältnis zu den anderen einen Flaschenhals darstellt. Dass alle Schritte dieselbe Flusskapazität haben, ist nicht anzunehmen; zu viele Parameter nehmen darauf Einfluss, als dass die alle so eingestellt wären, dass jeder Schritt dieselbe Kapazität hätte.
Umgekehrt, wenn es einen Schritt gibt mit deutlich höchster Kapazität, dann sind die anderen Schritte demgegenüber alle mehr oder weniger enge Flaschenhälse.
Doch das spielt keine Rolle; bestimmend für den Durchsatz des Prozesses ist der engste Flaschenhals, auch Engpass genannt. Der Durchsatz ist die Anzahl von etwas pro Zeiteinheit, z.B. Aufträge pro Tag oder Umsatz pro Monat.
Allein auf Engpass ist zu schauen, um eine Idee davon zu bekommen, wie viele Aufträge in einem Zeitraum bearbeitet werden können; allein von ihm hängt ab, welcher Umsatz in einem Zeitraum generiert werden kann.
Im Falle von Instant Insight steht und fällt alles mit Beatrice und ihrer Phase B. Das war den Gründerinnen so nicht klar, als sie mit ihrer Firma gestartet sind. Nur aus dem Bauch heraus haben sie geschätzt, dass sie in einem Monat auf ihre 10.000€ Umsatz kommen können. Ganz falsch lagen sie damit nicht, doch die konkreten Bedingungen dafür standen ihnen nicht vor Augen.
Und auch jetzt ist das Business noch nicht in trockenen Tüchern. Sie wissen, dass sie mit ihren derzeitigen Regeln auch bei bester Auftragslage maximal 36 Aufträge fertigstellen können. Das sind noch 4 zu wenig, um ihr Umsatzziel zu erreichen.
Was können sie tun, um diese Lücke zu schließen? Und auch dann wäre das Business noch nicht perfekt, denn sie wollen erstens wachsen mit anderen Produkten; zweitens wollen sie einen Puffer haben, falls mal eine von ihnen ausfällt oder die Auftragslage schwankt (nach unten wie nach oben).
Annette, Beatrice und Carolin haben eine wichtige Lektion gelernt: auf den Engpass kommt es an! Er begrenzt den Umsatz, an ihm ist deshalb die Arbeit auszurichten. Solange der Engpass nichts zu tun hat, gibt es noch zu wenige Aufträge. Ob die anderen Prozessschritte Däumchen drehen, ist einerlei für den Durchsatz.
Nicht Aufträge dürfen auf Ressourcen zu ihrer Bearbeitung warten, sondern Ressourcen müssen auf Aufträge warten. So herum wird ein Schuh aus dem Warten. So wenig wie möglich Wait Time innerhalb einer Auftragsbearbeitung; hohe Flow Efficiency ist Trumpf. Wartezeit für Ressourcen ist andererseits unumgänglich bis gewünscht. Solange die Reaktionsfähigkeit der Ressourcen auf Auftragsereignisse erhalten bleibt, kann sie für andere Tätigkeiten genutzt werden.
Wer wissen will, wie es weitergeht mit den Gründerinnen, der drückt den Knopf und wird über die nächsten Episoden in der Staffel informiert.