Erfolgszutat Kohäsion
Erfolg braucht hohe Kompetenz. Erfolg braucht situationsgerechte Koordination. Erfolg braucht auch gute Führung. Aber was macht gute Führung aus?
Eine Zutat guter Führung habe ich gerade mit Andrea, meiner Frau gelernt. Wir hatten einen Konflikt. Ich fühlte mich durch einer ihrer Handlungen frustriert und war ärgerlich. Dem habe ich Luft gemacht. Kurz und knapp und ernst. Dann war gut.
Andrea meinte, das sei alles keiner Rede wert, schon gar keiner solchen Aufregung. Dennoch hat sie zugehört und auf meine abschließende Bitte zustimmend geantwortet. Dann war gut.
Und genau das scheint mir eine wichtige Zutat guter Führung: Emotionale Selbstregulation der Organisation. Es geht um eine Form “energetischer” Homöosthase.
Ob die Organisation aus Zweien besteht wie in unserer Ehe oder aus hunderten Menschen, macht keinen Unterschied. Sie braucht Energie, die sie vorantreibt. Sie braucht aber auch Energie, die sie zusammenhält. Die Mitglieder der Organisation müssen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit haben; es muss Kohäsion zwischen ihnen herrschen.
Nur mit Kohäsion gibt es überhaupt ein Ganzes, das sich mehr oder weniger erfolgreich in eine Richtung bewegen kann. Ohne Zusammenhalt sind die Verbindungen zwischen den Organisationsmitgliedern schwach. Schon kleine Störungen können dazu führen, dass sie sich trennen, d.h. die Organisation auseinander fällt.
Auch die beste Führung kann allerdings nicht verhindern, dass es zu Konflikten in einer Organisation kommt. Harmonie ist schön — doch Konflikte sorgen dafür, dass Spannungen entstehen, die in Fortschritt verwandelt werden können. Konflikte dürfen insofern nicht einmal vollständig vermieden werden. Nur sollten sie bekömmlich bleiben.
Reaktion in Konflikten
Wenn Konflikte nicht zu vermeiden sind, wie dann mit ihnen umgehen?
Erstens müssen Konflikte natürlich in ihrer Größe unterhalb einer gewissen Grenze bleiben. Tun sie das nicht, ist die Gefahr enorm, dass sie die Organisation buchstäblich zerreißen. Eine etablierte Grenze ist die Gewaltfreiheit. Denn sobald körperliche oder psychische Gewalt ins Spiel kommen, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Auflösung von Konflikten rapide.1
Zweitens aber — und das ist mir heute stark aufgefallen — geht es darum, die im Konflikt aufschäumenden Emotionen wieder einzufangen. Kann die sprunghaft ansteigende Energie wieder gedämpft werden? Oder stacheln sich die Konfliktparteien gegenseitig immer weiter an mit ihren Reaktionen?
Damit ein Konflikt nicht explodiert, müssen alle Parteien zwei Fähigkeiten haben, denke ich:
Erwiderung begrenzen: Wer sich angegriffen fühlt, darf nicht in eine Auge-um-Auge Reaktion verfallen. Die Energie, die ihm entgegen schlägt, muss zumindest zum Teil “aufgesogen” oder “vorbeigeleitet” werden; sie darf nicht zurückschlagen.
Nachtragen vermeiden: Wer sich Luft macht, muss die Offenheit haben, dass nach einer Klärung wieder Normalität herrscht.
Beides habe ich heute deutlich beobachten können:
Andrea hat sich in ihrer Reaktion zurückgehalten. Sie ist nicht defensiv geworden, aber auch nicht offensiv. Ein bisschen musste ich ihr verdeutlichen, dass es mir ernst ist — aber dann hat sie mir zugehört. Ich fühlte mich respektiert, wenn auch nicht 100% verstanden. Das war genug, um nicht noch mehr Energie hineinzulegen, um endlich Gehör zu finden.
Während der Situation war mir schon klar, dass ich nur ein “Ich verstehe.” oder “Ok.” hören wollte — und danach keinen Groll mehr hegen muss. In den 30 Sekunden konnte alles geklärt werden ohne weiteren Einfluss auf den Tag. Wir haben anschließend ganz traut mit unserer eigentlichen Aktivität weitergemacht.
Insofern war der Konflikt eine befriedigende, gar stärkende Erfahrung. Dass wir Selbstregulation können, hat mich sehr erfreut.2
Voraussetzungen für Regulationsfähigkeit
Dafür, dass wir beide so in der Konfliktsituation reagieren konnten, gibt es, glaube ich, Voraussetzungen. Ohne die fühlen sich Konfliktparteien wenig motiviert, sich in selbstregulierender Weise einzubringen:
Ganz wesentlich ist — wie könnte es anders sein — Vertrauen. Vertrauen darin, dass es im Konflikt eben nicht um einen persönlichen Angriff geht. Die persönliche Integrität/Identität steht nicht in Frage. Es muss also ein unverbrüchlicher grundlegender Respekt existieren oder besser noch: eine unverbrüchliche grundlegende Wertschätzung. Die Beziehung zwischen den Konfliktparteien muss frei von Angst sein, dass durch den Konflikt die Beziehung aufgelöst werden könnte.
Vertrauen allein reicht aber nicht, glaube ich. Vertrauen ist zunächst nur ein Potenzial für eine Organisation. Es ist die Bedingung für die Möglichkeit, gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Und das ist der Zweck der Organisation: Nur gemeinsam schaffen wir es, die Welt in gewisser Weise zu gestalten. Ohne eine klare Vorstellung davon, was die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft — und sei das auch nur eine Freundschaft, Partnerschaft, Ehe — soll, ist der Wille, sie nicht in Konflikten auseinander zu reißen, begrenzt. Im Konflikt muss glasklar sein, warum es sich lohnt, nicht jede Reaktion zu zeigen, die sich reflexartig aufdrängt.
Zwischen Andrea und mir ist das Vertrauen da. Wer heiratet, dem traut man zu, dass es entwickelt wurde. Doch was ist mit dem Ziel? Was wollen wir denn gemeinsam erreichen? Wofür ist unsere Zweisamkeit gut?
Dazu hat sich zwischen uns über die Jahre ein klares Bild entwickelt. Wir wissen sehr genau, “was wir aneinander haben”. Wir formulieren auch immer wieder, was wir an unserer Gemeinschaft schätzen: Entwicklung in Geborgenheit. Gemeinsam das Leben meistern ist viel schöner und leichter, als es allein tun zu müssen. Das ist uns viel wert — so viel, dass wir alle Anstrengung unternehmen, nach Konflikten wieder in Ruhe zu kommen.
Auch wenn Geborgenheit kein Begriff sein mag, den man mit Unternehmen in Verbindung bringt, denke ich doch, dass es auch bei ihnen darum geht: Es braucht Fundament an Vertrauen in die Wertschätzung der anderen. Nur wer sich trotz Konflikten nicht in Frage gestellt fühlt, traut sich erstens, das Unternehmen mit ihnen zu bereichern, und ist zweitens bereit, nicht auf seiner Position oder auf bestimmten Reaktionen zu beharren.
Eine solche Atmosphäre der Wertschätzung begegnet uns durchaus häufiger in Unternehmen während unserer Beratungen. Wir freuen uns sehr, wenn wir echte Kollegialität spüren.
Soweit funktioniert Führung ganz ordentlich.
Doch das ist eben nicht alles. Leider beobachten wir viel häufiger, dass es an einer gemeinsamen Vorstellung vom Zweck fehlt. “Was soll das alles? Ich mag ja persönlich geschätzt sein — doch wie ich mit meiner Arbeit einen Unterschied mache, ist mir nicht klar. Zu was trage ich eigentlich wie bei?” Deshalb steht die Selbstregulation dort leider auch auf schwachen Füßen.
Hier mangelt es noch an guter Führung.
Daher meine Empfehlung: Nutzen Sie jeden Konflikt als Chance, um über die Fähigkeit der Selbstregulation zu reflektieren und den Blick für die Voraussetzungen zu schärfen. Wenn Konflikte schon unvermeidbar sind, dann nehmen Sie sich wenigstens als kostenlose Lehrmeister an.
Was der eine oder die andere als Gewalt empfindet, mag unterschiedliche sein. Im Einzelfall mag man darüber diskutieren, also auch im Konflikt sein. Ich meine hier zunächst nur das, was von einer breiten Mehrheit als Gewalt erachtet wird.
Nicht, dass es keine vorhergehenden Erfahrungen geben würde, die mir das schon gezeigt hätten. Auch größere Konflikte haben wir schon reguliert bekommen. In diesem Fall jedoch war mir das sehr bewusst, während es passierte. Daher auch mein Impuls, darüber zu schreiben.