Wenn deine Kapazität das enge Rohr ist, durch das eine ganze Flut an Aufgaben fließen muss, dann heißt es “Rohr frei!” Du musst dir Gedanken machen, wie du deine knappe, wertvolle Kapazität möglichst sinnvoll auslastest. Du willst Aufgaben flüssig, zügig, zuverlässig, hochqualitativ erledigen — und dabei entspannt bleiben. Oder?
Was kannst du tun?
Make Work Visible
Als allererstes musst du einen ständig aktuellen Überblick über deine Aufgaben bekommen. Über alle Aufgaben! Du musst sehen, was dich belastet. Nur dann kannst du selbst objektiv beurteilen, wie sich diese Last verändert, wenn du weitere Maßnahmen ergreifst. Außerdem haben nur sichtbare Aufgabe ein Gewicht in Diskussionen mit anderen. “Ich habe viel zu tun!” kann jede behaupten; du musst es belegen können, um damit Eindruck zu machen.
Make Work Visible! — Macht die Arbeit sichtbar! — muss dein Motto sein. Ständig.
Es gibt keine Aufgabe, die du erledigen musst, solange sie nicht sichtbar ist. Wie du das machst, ist fast egal. Du kannst an der Wand arbeiten oder im Computer. Sei nur kon-se-quent.
Die zwei grundlegenden Werkzeuge zur Sichtbarmachung sind:
ein Kalender
eine Aufgabenliste
Kalender
Im Kalender platzierst du Ereignisse, d.h. Dinge, die in der Zukunft zu einem bestimmten Zeitpunkt passieren (sollen). Das sind natürlich erstmal Meetings der einen oder anderen Art, z.B. mit Kollegen zu einem Projekt zusammensitzen, ein Telefonat mit dem Kunden, ein 1:1 mit deiner Vorgesetzten.
Darüber hinaus gehören allerdings auch in den Kalender Aktivitäten, die nur du dir vornimmst. Du solltest dir sogar mehr vornehmen als bisher. Je mehr du dir vornimmst in Form eines Ereignisses, desto größer die Chance, dass du es auch einhältst. Denn der Kalender ist dein zentrales Kapazitätsmanagementwerkzeug!
Im Kalender siehst du nämlich deine Kapazität. Die 8 Arbeitsstunden, die du jeden Tag hast, liegen ausgebreitet vor dir. Um deine Auslastung in den Griff zu bekommen, ist es also am besten, sie im Kalender sichtbar zu planen.
Ereignisse, die du dir selbst vornimmst “zu veranstalten” sind z.B. “Präsentation für Projekt X ausarbeiten” oder “Nachbereitung des Meetings” oder auch Regelmäßiges wie “Inboxes durchgehen”.
Je mehr Aufgaben du im Kalender sichtbar machst, desto mehr Kapazität kannst du verplanen!
Aufgabenliste
Was du nicht gut zu einem Ereignis im Kalender machen kannst, musst du mindestens in einer Liste führen. Du vergisst es sonst oder belastest dein Gedächtnis und lebst in Sorge, dass du etwas vergessen könntest.
Beispiele für Aufgaben, die in einer Liste stehen, sind größere, die nicht mit einem Ereignis oder einer genau festlegbaren Anzahl eingeplant werden können. Oder es sind kleinere, für die ein eigenes Ereignis nicht lohnt; manches musst du einfach nicht genau zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigen.
Eine Aufgabenliste ist besser als zwei. Dann hast du nur eine “Quelle der Wahrheit” neben dem Kalender. Aber es gibt neben einer expliziten Aufgabenliste oft noch eine versteckte: deine Email-Inbox (oder auch noch andere Nachrichtenkanäle).
Bis zu einem gewissen Grad ist das ok. Ein paar kleine Aufgaben, die du am Tag schnell erledigen wirst, kannst du auch mal in der Inbox lassen. Doch alles, was substanziell deine Kapazität belastet, solltest du auf genau eine explizite Aufgabenliste schreiben — oder eben gleich im Kalender als Ereignis einplanen.
Das ist der Anfang für die Visualisierung. Weniger geht nicht. Solange du nicht kon-se-quent alle Aufgaben in Kalender + Aufgabenlist platzierst, leidest du unter dark work. Das ist Arbeit, die einen Einfluss auf deinen Stress hat, aber nicht sichtbar ist. So wie in der Physik dark matter und dark energy Einflüsse haben, die zu ansonsten unerklärbaren Beobachtungen führen.
Über den konkreten Umgang mit Kalender und Aufgabenliste lässt sich noch viel sagen. Für den Moment reicht es jedoch, dass du Aufgaben überhaupt sichtbar machst. Nur so kannst du sehen, inwiefern du ausgelastet bist. Das ist zentral, wenn du Stress für dich und andere vermeiden willst.
Plan vs Realität
Stress entsteht für dich durch zu hohe Auslastung. Du hast zu viel “auf dem Teller”, das du erledigen musst. Dadurch entsteht eine immer länger werdende Schlange von unerledigten Aufgaben mit dazugehörigen Auftraggebern, die auf Ergebnisse von dir warten. Das ist ein Zustand, der dich umso mehr bedrückt, je länger diese Warteschlange vor dir als Aufgabenerledigungsressource wird. Versetze dich in die Situation einer Kassiererin im Supermarkt, die 20 Kunden mit vollen Einkaufswagen vor ihrer Kasse stehen sieht.
Die Kapazität, mit der du Aufgaben abarbeiten kannst, ist gegeben. Du hast nicht mehr als 8 Stunden pro Tag oder 40 Stunden die Woche. Die korrekte Formulierung dazu lautet: “Was ich schaffen kann, ist durch meine Kapazität begrenzt.” Inkorrekt wäre, wenn du formuliertest: “In meiner Kapazität muss ich alles schaffen.” Siehst du den Unterschied? Leider ist die zweite Formulierung ein typischer Glaubenssatz, der prompt zu noch mehr Belastung führt.
Nein, du musst und kannst nicht “alles” schaffen, was man dir an Aufgaben hinwirft. Wenn du dich nicht aufreiben willst und auch noch zuverlässig sein möchtest und auch noch einen Qualitätsanspruch hast, dann ist nicht “alles” dein Maßstab, sondern deine Kapazität. Sie definiert die Obergrenze dafür, was du schaffen kannst.
Jeden Tag kannst du nur 8 Stunden füllen. Diese Zeit ist alles, was du hast. Sie ist ein knappes Gut. Du musst dir also sehr gut Gedanken machen, worauf du sie verwendest.
Diese deine Kapazität füllst du mit Aufgaben. Manche stehen im Kalender, andere — möglichst wenige — nur in der Aufgabenliste. Alle kosten dich eine gewisse Menge Zeit.
Das ist nicht weiter tragisch. Dass du diese Zeit am Ende des Tages gebraucht hast, um Aufgaben zu erledigen, macht nicht deinen Stress aus. Es ist vielmehr der Unterschied zwischen deiner Erwartung und der Realität.
Was läuft schief?
Stress entsteht, wenn es anders läuft als geplant. Hier ein Beispiel:
Du hast am Morgen schon einige Aufgaben in deiner Liste. Darin sehen sie im Grunde alle gleich aus. Du siehst ihrer Form nicht an, wie lange du dafür wohl brauchen wirst.
Du machst dir einen Tagesplan, um diese Aufgaben systematisch abzuarbeiten. Dafür überlegst du dir, wie lange du wohl für jede Aufgabe brauchst. Zwischen den Aufgaben lässt du wohlweislich auch eine kleine Lücke. Ein Päuschen zum geistigen Umschalten zwischen den Aufgaben ist nötig.
Aber wenn du abends nach Hause gehst, dann sieht dein Tag ganz anders aus als geplant. Du hast für jede Aufgabe (bis auf eine im Beispiel) viel länger gebraucht als gedacht. Um eine noch abzuschließen, hast du sogar länger gearbeitet. Zwei geplante konntest du hingegen gar nicht anfangen. Du musst sie auf den nächste Tag verschieben.
So ist das mit den Plänen: Sie sind verdammt dazu, nicht eingehalten zu werden. Zumindest wenn du so planst, wie hier gezeigt. Das erzeugt Stress:
Du bist unzufrieden, dass du deinen Plan nicht einhalten konntest.
Auftraggeber zeigen dir, dass sie unzufrieden sind, weil du nicht wie versprochen geliefert hast.
Vielleicht bekommst du sogar Druck, weil du länger als geplant an einer Aufgabe gearbeitet hast.
So normal das ist, es ist doch Mist, oder? Es macht keinen Spaß, so zu arbeiten. Die Qualität deiner Arbeit leidet, die Stimmung im Team oder mit den Kunden leidet.
Was läuft schief? Wie kannst du das verbessern? Um davon eine Idee zu bekommen, zunächst ein genauerer Blick darauf, was im Beispiel passiert ist.
Gründe für Planabweichungen
Warum haben so viele Aufgaben länger gedauert als du gedacht hattest?
Du hast dich einfach verschätzt, was den Aufwand angeht. Nach der Aufgabenstellung sah eine Aufgabe gut in 1 Stunde zu erledigen aus — doch als du damit begonnen hast, wurde dir klar, dass du länger an einer Lösung knobeln musst. Zwei Stichworte zu den Gründen für solche Verschätzungen:
Schwierigkeitsgrad: Eine Aufgabe ist schwieriger als gedacht. Du hast zwar alles, was du zur Erledigung brauchst, doch deine “Informationsverarbeitung” braucht schlicht länger.
Abhängigkeiten: Unabhängig vom Schwierigkeitsgrad bemerkst du erst während der Arbeit an einer Aufgabe, dass dir etwas fehlt. Das können Daten sein oder sogar Kompetenz. Dann musst du zuerst diese Lücke schließen, bevor du weitermachen kannst.
Es kann auch sein, dass du gut vorankommst und dennoch länger brauchst. Das ist der Fall, wenn du unterbrochen wirst; andere grätschen dir überraschend in deine Arbeit hinein. Ein Anruf reißt dich für 10 Minuten heraus, ein Kollegen braucht dringend deine Hilfe und “entführt dich” für 30 Minuten, weil du ihm seine Bitte nicht abschlagen willst.
Durch all diese Ursachen entstehen immer wieder Abweichungen zwischen SOLL (Plan) und IST (Realität).
Zu unterscheiden sind dabei auch zwei unterschiedliche Zeiträume:
Aufwand: Das ist die Zeit, die du wirklich damit verbringst, an einer Aufgabe zu arbeiten. Während dieser Zeit befasst du dich mit deinem “Werkstück”; dieser Zeitraum wird auch Touch Time (TT) genannt.
Dauer: Das ist die Zeit, die du brauchst, um von Beginn bis Ende eine Aufgabe abzuschließen. Während dieser Zeit kann es zu Unterbrechungen kommen, die dich von der Aufgabe ablenken. Deshalb ist die Dauer oft größer als der Aufwand. Dieser Zeitraum wird auch als Flow Time (FT) bezeichnet, d.h. die Zeit, die die Aufgabe braucht, durch dich als Ressource “hindurchzufließen”.
Wenn du zur Planung eine Aufgabe einschätzt, welchen dieser beiden Zeiträume schätzt du dann eigentlich? Den Aufwand. In deinem Kopf denkst du ideal ungefähr so: “Wenn ich mich hinsetze und konzentriert arbeite, wie lange brauche ich dann für diese Aufgabe?” Das Ergebnis ist eine Schätzung für den Aufwand.
Damit trägst du allerdings mindestens nicht der Realität des Tagesgeschäftes Rechnung, das dir meistens wenig Zeit für konzentrierte Arbeit für eine komplette Aufgabe lässt. Vielleicht findest du Zeit, dich 5 Minuten oder 15 Minuten zu konzentrieren — doch dann passiert etwas Ungeplantes und du bist abgelenkt. Das kann äußere Ablenkung sein — ein Anruf kommt herein —, das kann innere Ablenkung sein — du fühlst den Drang, dich um deine Social Media auf dem Smartphone zu kümmern.
Wenn dazu noch kommt, dass du dich auch schon beim Aufwand verschätzt — selbst bei ungestörter Arbeit brauchst du nicht 60 Minuten, sondern 90 Minuten für eine Aufgabe —, dann ist dein Plan für die Katz. Der ideale Aufwand trifft auf die Realität und wird erstens zu mehr realem Aufwand und zweitens zu noch längerer Dauer.
Das ist ein Rezept für Frust, oder? Das macht dir schon Stress. Nichts bekommst du erledigt, wie du es gern hättest.
Deine Auftraggeber interessieren sich allerdings meistens nicht einmal für den Aufwand und auch nicht für die Dauer. Sie sehen vor allem die Differenz zwischen Auftragserteilung — Wann haben sie dir die Aufgabe übergeben (mit oder ohne deine Zustimmung)? — und Lieferung deines Ergebnisses. Das ist die Bearbeitungszeit (auch Lead Time (LT)) genannt und die ist nochmal größer als die Dauer. Aus Sicht eines Auftraggebers hast du diese ganze Zeit gebraucht, um seine Aufgabe zu bearbeiten.
Noch mehr Stress als der Unterschied zwischen Dauer und geschätztem Aufwand machen dir große, gar wachsende Differenzen zwischen Bearbeitungszeit und Dauer bzw. Aufwand:
Wenn der Auftraggeber fragt, “Warum dauert das so lange?”, dann meint er nicht deine Dauer, sondern die Bearbeitungszeit. Hier liegt also schon ein Missverständnis vor.
Wenn du darauf antwortest, “Es ist alles schwieriger als gedacht!”, dann meinst du nicht die Dauer, sondern eine Abweichung des realen Aufwands vom geschätzten. Wieder ein Missverständnis.
Diese Missverständnisse führen zu konfliktreicher Kommunikation. Der Auftraggeber spürt, dass du nicht seine Frage beantwortest.
Um die Frage des Auftraggebers zu beantworten, musst du erklären, warum es so lange gedauert hat, bis du überhaupt mit seiner Aufgabe begonnen hast. Die hat nach Beauftragung ja ein ganze Zeit auf deine Aufmerksamkeit gewartet. Diese Verzögerung ist eine Form von Wartezeit (Queue Time (QT)) für die Aufgabe und für den Auftraggeber; die Aufgabe hat in der Warteschlange (engl. queue) gestanden.
Diese Wartezeit hat nichts mit der Aufgabe selbst zu tun, um die es dem Auftraggeber geht. Sie rührt von anderen Aufgaben her, die vorher schon aus dem Ruder gelaufen sind. Und das lag weniger daran, dass sie schwieriger waren, als gedacht, sondern eher dass du bei ihrer Abarbeitung oft unterbrochen wurdest.
Puh… das sind eine Menge Aspekte rund um deine Aufgaben, oder? Was es da alles zu beobachten gibt: geschätzter Aufwand, realer Aufwand, Dauer, Bearbeitungszeit, Wartezeit. So viele Schrauben, an denen du etwas stellen kannst, wo aber auch etwas schief gehen kann. Wo jetzt ansetzen? Überall ein bisschen drehen oder gibt es eine zentrale Stellschraube?
Ich wollte dir diese Aspekte nur einmal vor Augen führen, um dir klar zu machen, dass es kein Wunder ist, dass bei dir so viel Stress herrscht. Du arbeitest nicht am Fließband:
Fließband: geschätzter Aufwand = realer Aufwand = Dauer = Bearbeitungszeit
Deine Arbeit im Office: geschätzter Aufwand < realer Aufwand << Dauer << Bearbeitungszeit
Dazu kommt noch — als sei das nicht alles schon genug —, dass die grundsätzlich notwendigen Aufwände und auch die Schwierigkeitsgrade deiner Aufgaben sehr verschieden sind. Du hast kleine, mittlere und große Aufgaben; du hast einfache, komplizierte, komplexe Aufgaben. Mal kommen auch mehre Aufgaben rein, mal weniger. Insgesamt ist die Variabilität in Bezug auf deine Aufgaben riesig.
Deine Arbeit im Office ist sehr anspruchsvoll!
Gerade deshalb ist es lohnend, sie systematischer zu betrachten. Geschieht das nämlich nicht… führt solche Anspruchsfülle direkt in hohen Stress und Schlimmeres.
Wo solltest du ansetzen?
Wenn dir der Kopf schwirrt und du nicht weißt, was du nun tun sollst, damit es besser wird, kann ich das sehr gut verstehen. Es sieht alles sehr verworren, gar chaotisch aus. Wo ist ein Hebel, mit dem du deinen Stressbrocken aus dem Weg räumen kannst?
Unter dem Stichwort “Zeitmanagement” oder “Produktivitätssteigerung” oder “Arbeitsorganisation” findest du eine Menge Tipps & Tricks. Doch erstens liegen die mehr oder weniger auch nur auf einem Haufen, so dass du nicht weißt, womit du beginnen solltest. Zweitens ist nicht klar, warum du diese oder jene Maßnahme ergreifen solltest; es fehlt ihnen eine “theoretische Anbindung”.
Beides möchte ich für dich verbessern. Deshalb habe ich zuerst zwei Artikel geschrieben, die erklären, wo die Hauptursache für deinen Stress liegt: in angenommenen, aber noch nicht abgeschlossenen Aufgaben, d.h. in der Warteschlange an Aufgaben, die sich um dich herum aufgebaut hat. Du gehst mit deiner Kapazität nicht passend zur Variabilität um.
An der Entwicklung deiner Warteschlange kannst du erkennen, wie es um deinen Stress steht. Wird die länger, dann bekommst du Stress. Mit den hiesigen Begriffen ausgedrückt: Es steigt deine Bearbeitungszeit. Das musst du vermeiden. Hier ist der Hebel, nach dem du suchst.
Und das erste, was dir ins Auge sticht, wenn du die Bearbeitungszeit anschaust ist… die Wartezeit in der Warteschlange. Wie kannst du also diese Wartezeit verkürzen? Wie kannst du die Warteschlange verkürzen?
Das geschieht durch eine Reduktion deiner geplanten Auslastung.
Ab dem nächsten Artikel geht es darum, wie du dabei vorgehen solltest.
Voraussetzung dafür ist, dass du deine Arbeit sehen kannst (Make Work Visible) und verstehst, welche “Stellschrauben” dir überhaupt zur Verfügung stehen.
Nächster Artikel in der Reihe: